Caipirinha

Je älter man wird, um so mehr steigt die Chance „unverzeihliche“ Fehler zu machen, man hätte es ja schließlich inzwischen wissen müssen.  Zum Beispiel nach Brasilien zu fahren, ohne vorher die Tabelle der dortigen Fußball-Liga auswendig zu lernen oder mal zu googeln, ob sich an der Frisur von Neymar in letzter Zeit was geändert hat.

Die Chance, in einer Churrascaria in geselliger Runde auf Brasilianer zu treffen, die kein Englisch sprechen, ist relativ hoch. Und da die eigenen Portugiesisch-Kenntnisse über obrigado und bom tarde kaum hinausgehen, gestalten sich die Tischgespräche mitunter etwas  schwierig, wenn sich der „Dolmetscher“ am anderen Ende der langen Tafel befindet. Man kann aber seinen Hintern darauf verwetten, dass sich aus dem Sprachgewirr, das bald auf den deutschen Gast einprasselt, recht schnell Wörter wie futebol, FC Santos, Neymar, FC Barcelona, Messi und semifinal herauskristallisieren. Man sollte dann wissen, dass der FC Santos die weltbeste Fußballmannschaft ist, aus der Nähe von Sao Paolo stammt und mit dem weltbesten Fußballspieler  – Neymar – gesegnet ist. Als Europäer weiß man natürlich, dass der FC Barcelona die weltbeste Fußballmannschaft ist, aus Barcelona stammt und mit dem weltbesten Fußballspieler – Messi – gesegnet ist.  Und dass im Dezember in Japan die Weltmeisterschaft im Club-Fußball ausgetragen wird, bei der die Zusammensetzung der Halbfinale noch nicht ganz feststeht, was aber egal ist, weil das Finale auf jeden Fall FC Santos vs. FC Barcelona heißen wird und der Sieger eigentlich auch schon fest steht.

Eduardo bricht in hysterisches Gelächter aus, als er mit ungläubigen Augen und zweifelnden Blicken aus meinen englisch-portugiesisch-deutschen Sprach-Brocken heraushört, dass dieser Sieger unzweifelhaft Barcelona heißen müsse, weil Messi quasi mit göttlichem Beistand spiele und Neymar, bei aller Hochachtung, doch einfach zu jung sei. „Leute, alle mal herkommen! Hier ist ein durchgeknallter Europäer, der keine Ahnung von Fußball hat! Neymar … futebol … Neymar … final … goleador!“ Ich kann das natürlich nicht wörtlich wiedergeben, aber: alle Leute kamen dann mal her. Ungläubig blickend, wild gestikulierend, durcheinander redend, Neymars letztes Solo nachspielend unter Einbeziehung von Kellnern mit großen Fleischspießen, die die gegnerische Abwehr darstellen mussten, aber viel lieber Neymar gespielt hätten. Und wie durch ein Wunder kam keiner mit seinem Fleischspieß zu Fall und ging keines der mit Caipirinha-Gläsern gefüllten Tabletts zu Bruch.

Was sich dann auch als Segen herausgestellt hat, weil der depperte Deutsche vielleicht  nichts von Fußball versteht, aber doch wahrscheinlich nichts dafür kann und deshalb mit den leckersten Bissen der 20-30 Fleischsorten versorgt werden musste. Und da jeder der zahlreichen Diskutierenden einen anderen Leckerbissen im Auge hatte, wurden die Kellner schnell noch mal losgeschickt, einen anderen Spieß zu holen, und der Wirt wurde herbeizitiert, ob es denn in seinem Lokal nicht diese ganz spezielle Spezialität mit Knoblauch und Lorbeer gäbe und warum er die dem deutschen Freund vorenthalte wolle. Und – by the way – ob er schon gehört hätte dass dieser deutsche companheiro tatsächlich behaupte … und dass das Caipirinha-Glas des amigo alemao ziemlich leer sei, und ob er vielleicht noch eines bringen könne, aber bitte nicht mit dem üblichen Fuselzeug, sondern mit dem echten Cachaça und mit viel von dem guten Zucker.

Der fragliche companheiro liegt derweil schon halb auf der Bank, mit wahrscheinlich glasigen Augen und von allen Seiten mit dünn abgesäbelten Fleischfetzen versorgt und immer mühsamer „Sim. Muito bem!“ murmelnd, aber auch ein bisschen wehmütig auf die köstliche Salatbar, die hervorragenden Oliven und die frittierten Polenta-Stäbchen blickend. Für derlei Labsal ist aber gerade kein Verständnis zu erwarten, der nächste Fleischspieß rollt gerade heran und muss – fachmännisch, aber portugiesisch erklärt – gekostet werden.

Paolo fängt dann ein wenig an zu weinen, als der deutsche Gast beim Zuprosten zugesteht, dass Neymar wirklich nicht schlecht Fußball spiele und deshalb wahrscheinlich auch nächstes Jahr nach Europa wechseln würde. Tristemente war zu  verstehen und incorretto und ich bin mir nicht sicher, ob ich das richtig verstehe, aber ein wenig übertrieben wäre das schon und sicher kein Anlass für Tränen. Vielleicht hat Brasilien außer dieser furchtbaren Sprache auch noch ein wenig Fado aus Portugal übernommen, wer weiß.

Als José dann als Dolmetscher wieder an unser Ende des Tisches kam, war zwar die Kommunikation etwas einfacher, aber die Auffassungsgabe inzwischen durch mehrere Caipirinhas getrübt. Dennoch glaube ich, folgende Informationen weitergeben zu können:

Eine ordentliche Churrascaria gäbe es eigentlich nur in seiner Heimat, im Süden Brasiliens und auch nur dort würde man zu Recht diese weiten Hosen tragen. Der Wirt hier sei aber ganz aus dem Norden und hätte naturgemäß keine Ahnung. Alles in allem sei dieses Lokal hier im Umkreis noch eines der besseren, aber er würde mir doch raten, nächstes Mal mit ihm in den Süden nach Viamão zu fahren, wo auch die Frauen viel hübscher seien.

Und auf ein Rezept für Caipirinha angesprochen, sagte er sinngemäß: Vergiss es! Noch schlimmer als Vodka sei ein schlechter Cachaça und nur die würden exportiert. Für Caipirinha müsse man aber den wirklich guten nehmen, den man auch pur trinken könne. Und der Zucker! Er habe in Deutschland schon braunen Zucker im Caipirinha gesehen! Não! Não und nochmals não! Und die Limetten niemals schälen! Die müssen im Glas zerstampft werden und in diesem Saft muss dann ganz feiner weißer Zucker aus Zuckerrohr – ganz wichtig: Zuckerrohr!-  aufgelöst werden. Dann ordentlich mit Eiswürfeln – wohlgemerkt: Würfeln! – auffüllen und mit viel gutem Cachaça – nicht nur ein paar Tröpfchen! – aufgießen.

Fazit dieses Gesprächs ist ein Rezept für

Caipirinha

Ein Flugticket Hannover – Sao Paolo lösen, den Flug antreten, die nächstbeste Bar außerhalb des Flughafens aufsuchen und: Saúde!

2 Gedanken zu „Caipirinha“

  1. super, du bist zurück – toller beitrag, wirklich ganzganz toll – ich glaube, ich habe mich auch in deinen blog verliebt ;-). ich hab jetzt alles meinem mitkoch vorgelesen, der ist auch ganz angetan …

    wir haben hier in meiner stadt ein fachgeschäft für rum und whiskey, da müsste man doch auch guten Cachaça bekommen. oder?

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    • Hallo Küchenschabe,
      ich weiss es nicht. José sagt: nein. Aber der glaubt ja auch, dass Santos Barcelona schlägt. Probierts es doch einfach aus. Und die Limetten nicht schälen!

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