Geschlagene 3 Tage bin ich jetzt in Shenyang und heute habe ich zum ersten Mal einen Tag freimachen und mich unter die Chinesen mischen können.Die letzten Tage war ich im Hotel. Einmal “chinesisch”? Und zweimal deutsch. Richtig. Im deutschen Restaurant “Graf Zeppelin”. Zuerst gab es Leberkäse mit Ei und außergewöhnlich gute Bratkartoffeln (wirklich!). Am nächsten Tag war “Schnitzeltag”. Ich hatte Angstschweiß – und: das “Schnitzel Holzfäller Art” habe ich so gut noch nirgends auf der Welt gegessen und weil ich nicht schon wieder Bratkartoffeln essen wollte, gabs für mich einen unglaublichen Gemüse-Kartoffel-Rösti. Er kocht nicht schlecht, der junge Mann. Aber ob mir das 10 Flugstunden Wert wäre, weiß ich nicht genau. Also zu Shenyang.
Zur Stadt wollte ich eigentlich nichts sagen, weil mir – vielleicht wegen der Zeitverschiebung – im Moment außer “hässlich” keine Adjektive einfallen. Das könnt ihr selber googeln. Da wird dann wahrscheinlich “Industrie-Metropole” stehen und wenn Google aktuell ist, irgendwas von Bauarbeiten, weil die Asienspiele demnächst stattfinden, und dann muss ja alles “schön” sein …
Zu allem Elend war der Smog heute Morgen nicht von schlechten Eltern und mein erster Berührungspunkt sollte der “Imperial Palace” sein (neben der Verbotenen Stadt der zweite gut erhaltene chinesische Kaiserpalast). Deutsche (oder europäische) Touristen gabs natürlich nicht, aber chinesische Touristen scheinen auch nicht besser zu sein (und denselben Souvenirschrott zu kaufen). Es war trotzdem beeindruckend, wär mir aber auch keinen Flug Wert gewesen.
Ursprünglich wollte ich dann die magere “Must see”-Liste abhaken. Aber als die Sonne ein wenig durch den Dunst blinzelte, bin ich einfach planlos durch die Stadt gelaufen: Schlimme Strassen, breite Strassen, verstopfte Strassen, laute Strassen, hässliche Häuser, hohe Häuser, üble Shopping-Malls: Warum denkt die ganze Welt, Pizza Hut und KFC seien die Zivilisation? Aber auch schmale Strassen, Garküchen im Freien, Tagelöhner beim Majhongg, irrwitzige Kleingeschäfte, unglaubliche Früchte und Gemüsesorten und freundliche Menschen, die strahlen, wenn sie eine Langnase sehen.
Übers Grinsen geht die Kommunikation aber auch nicht hinaus. Außerhalb der Hotels kein Wort Englisch, weder beim Taxifahren, noch beim Einkaufen oder – am schlimmsten – beim Essen. Aber so ein stundenlanger Spaziergang macht hungrig. Was ich so bei den Garküchen im Vorbeigehen schnabuliert habe in allen Ehren, aber eine Schüssel Reis und vielleicht ein Chop Suey, das wär halt doch was anderes. Wenns dann aber eine Speisekarte gibt, womöglich mit Bildern, ist es dann auch in China Fastfood? Also, ich meine schlecht? Und wenns keine Speisekarte gibt, was und wie bestellt man dann?
Mit derart Fragen habe ich mich lange beschäftigt, in viele Lokale reingesehen und konnte mich nicht entscheiden, bis mich meine Kräfte ausgerechnet vor einem Laden verließen, in dem zwei junge Chinesinnen aus einer dampfenden Schüssel immer wieder Leckereien stäbelchenten (chinesisch für “gabelten”) und dabei sehr zufriedene Gesichter machten.
Drinnen angekommen, war zunächst die beiderseitige Ratlosigkeit groß. Letztendlich aber nicht grösser als der Hunger und der Geschäftssinn. Es wäre nämlich ganz einfach gewesen: Ich hätte eine Schüssel nehmen und sie mit allerlei Leckereien von einem Büffet an der Wand füllen und zur Waage tragen müssen. Darauf hätte er den Preis bestimmt, den Inhalt der Schüssel in einen Kochtopf umgefüllt, mit heißer Brühe aus einem großen Kessel übergossen und den Topf dann in etwa 3 Minuten auf schätzungsweise 5000 °C erhitzt und mir serviert. Easy, oder?
Es hat alles etwas länger gedauert und als ich dann endlich mit meiner Schüssel vor dem Büffet stand – ich muss es zu meiner Schande gestehen – konnte ich nur einen winzigen Bruchteil identifizieren. Es gelang mir aber ihm (unter Kopfschütteln seinerseits) klarzumachen, dass er das bitte übernehmen soll, ich wollte nicht an meiner Vergiftung auch noch selbst schuld sein! Blieb noch das Problem mit der Waage. Er bestand darauf, dass ich die Waage inspiziere und mein OK gebe für: 17,2. Was auch immer. Gramm, Kilogramm, Tonnen, oder haben Chinesen auch eigene Gewichtseinheiten? Egal, ich hab es abgenickt und die Geschichte nahm ihren Verlauf.
Drei Minuten später stand er vor mir. Ein brodeln heisser Topf mit köstlicher, würziger Brühe und – mit dem Mund kann ich besser identifizieren als mit den Augen: 3 dicke Kartoffelscheiben, 1 dicke Scheibe Schinken, mehrere Stücke von Huhn und Rind, diverse gefüllte Bällchen, zwei ungefüllte Teigbällchen, drei Sorten Glasnudeln (in verschiedenen Stärken), drei Sorten chinesische Nudeln in den Größen Linguine, Parpadelle und Lasagne (letztere mit feinen Kräutern im Teig), einige Pilze und verschiedene Kräuter, von denen ich nur Koriander erkennen konnte. Köstlich!
Beim Bezahlen hat sich dann auch das Rätsel um die Gewichtseinheit gelöst: es war der Preis. Chinesen wiegen in ihrer Währungseinheit! Egal was in der Schüssel liegt. 17 Yuan entsprechen im Moment etwa 2 Euro.