Magenbrot

„Magenbrot, na und?“ wird jetzt mancher von euch sagen (oder denken, ich weiß ja nicht, ob ihr mit eurem Monitor redet). Gibt es doch auf jeder Herbstkirmes, oder jetzt an jeder Ecke, auf jedem Weihnachtsmarkt. Was will er denn jetzt damit? Hat er sie noch alle?

Gibt es eben nicht! Nicht hier im kargen Norden! Ich hab sie alle abgeklappert, alle Herbstmärkte, alle Weihnachtsmärkte, alles. Ich hab dann was gegessen, was sie hier Schmalzgebäck nennen – wahrscheinlich bedeutet „Schmalz“ auf norddeutsch auch ganz was anderes, ein(e) „Semmel“ zum Beispiel ist groß wie ein Laib, aus Hefeteig und mit Rosinen drin!

Aber zurück zum Magenbrot. Zu Anfang der Saison, beim ersten Herbstmarkt, war das ja noch eher ein kleiner Wunsch: „Ich hätt jetzt gern eine Tüte Magenbrot“ sag ich so nebenbei zu Frau T. Und sie: „Dann kauf dir halt eine.“ – wie Frauen halt manchmal so sind. Und auf meinen fragenden Blick (ich kann mit den Augen „wo?“ fragen!) sagt sie doch glatt und mütterlich: „Komm, ich helf dir!“ Ein bisschen Genugtuung war dann schon auch im Spiel, als wir ohne Magenbrot nach Hause marschierten. Und ein Problem war es da noch keines.

Beim zweiten Markt dagegen war ich dann schon vorher ein wenig nörglerisch: „Och, Mensch, meinst du ich krieg heut eine Tüte Magenbrot?“ An Frau T. („Aber ja, Kleiner, nerv nicht!“) hat’s nicht gelegen, aber Magenbrot gab es trotzdem nicht. Auch nicht beim dritten und genauso wenig beim vierten Marktbesuch.

Etwa um diese Zeit – ich begann bereits, ab und zu Magenbrot-Orgien in meine Träume einzubauen – begab es sich, dass Robert ein Magenbrot-Rezept geposted hat. Sah Klasse aus, hörte sich richtig magenbrotig an. Tat meiner Depression überhaupt nicht gut. Aber Magenbrot selber machen? Gibt es doch an jeder Ecke, wer bin ich denn?

Gibt es aber eben nicht! Nicht hier im kargen Norden! Die Herbstmärkte zogen ins Land, die Magenbrot-Gelüste steigerten sich langsam zur Obsession – manchmal habe ich heimlich Roberts Seite aufgerufen und dann seufzend den entstandenen Speichel runtergeschluckt. Manchmal? Oft!

Ich hab in meiner Not Roberts Email-Adresse rausgesucht, um ihn zu fragen, ob er noch ein paar übrig hat. Aber das war mir dann doch etwas peinlich. Und dann: Care-Pakete aus der Schweiz? Täte dem sinkenden Selbstvertrauen der Euro-Ländern sicherlich nicht gut und hätte bestimmt Auswirkungen auf die Finanzmärkte – hab ich sein lassen und weiter trocken geschluckt.

Außerdem hatte ich noch eine klitzekleine Hoffnung: Auf den Weihnachtsmärkten, da wird es Magenbrot geben! Gibt es eigentlich überall auf der Welt. Also, da, wo es Weihnachtsmärkte gibt. Gibt es hier sicher auch.

Gibt es eben nicht! Nicht hier im kargen Norden! Also, ein allerletztes Mal Roberts Seite aufrufen, das Rezept kopieren, Einkaufszettel schreiben und ab in die Küche. Ich erspar euch das Rezept – könnt ihr bei Robert nachlesen – ich hab nämlich nichts geändert. Wer bin ich denn? Obwohl, bei 500g Puderzucker hab ich schon überlegt. Soviel Stoff hab ich noch nie auf einem Haufen gesehen. Bei uns wird das Zeug ja in homöopathischen Gebinden verkauft und der Herr Schuhbeck nimmt immer nur „1 TL“, wenn er mal wieder Fett sparen will (Pfui! Den wollte ich doch gar nicht erst ignorieren!) Ich hab mich dann aber zum Glück doch ans Rezept gehalten (schließlich macht Robert keine Fehler, und wenn, dann hätt einer seiner 3 Trilliarden Leser das bestimmt gemerkt):

Da baden sie und suhlen sich und liegen dann zum Trocknen aus

Und was soll ich sagen? Tiefe Dankbarkeit durchströmt mich. Dankbarkeit, dass ich in diesem Teil von Deutschland wohnen darf, wo es weder Brezenknödel noch Spätzle gibt, ganz zu schweigen von Magenbrot. Aber wenn es das gäbe, dann hätte ich nie diesen Geschmack der Glasur kennengelernt, nie diesen weichen Lebkuchen kosten dürfen und wäre nie mit hängender Zunge über der Keksdose gestanden und hätte die Frage: Noch einen? niemals immer mit JA! beantwortet. Danke!

Und jetzt muss ich aber noch erzählen, was dann passiert ist. Teilnehmende Personen: Ich, stolz wie Oskar auf mein Magenbrot und Frau T., sich an der Keksdose zu schaffen machend und ein Magenbrot mümmelnd:

Frau T.:Du, dein Magenbrot ist echt klasse!
Ich:Hmmmh.
Frau T.:Aber gerade habe ich im Fernsehen das richtige Rezept gesehen.
Ich:????
Frau T.:Ja, da kommt der Kakao in den Teig und die Glasur ist nur eine Zuckerglasur.
Ich:Aber …
Frau T.:Das Originalrezept, haben sie gesagt. Von einer Schweizer Firma ..
Ich (in der Pose „Ich halte einen Vortrag“, tief durchatmend):Liebe Frau T., geschätzte Gemahlin! Das ist jetzt der hirnverbrannteste Unsinn, den ich seit Jahren, wenn nicht Dekaden gehört habe. Schweizer Rezept! Darf ich dir bitte ein paar grundsätzliche Bemerkungen zur Schweiz zu bedenken geben? Ich, ein ausgewiesener Kenner der Schweizer Gastronomie, der zudem auch fast alle Orte, die zu einem Sonntagsausflug einladen, auswendig hersagen kann, mit Postleitzahl! Ich, der ich seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, ein eifriger Leser der einzigen wahren Quelle Schweizer Nahrungsaufnahme bin, der nicht einen einzigen Post verpasst hat, und wenn doch, ihn umgehend im Archiv nachgeschlagen hat, ich also, sage dir: Schweige, Weib, von „einer Schweizer Firma“, sofern diese im Widerspruch steht zur einzigen wahren Quelle, die, verzeih mir das Wortspiel, mir zum Quell aller kulinarischer Genüsse geworden ist. Schweig stille und lass die Finger von meinem Magenbrot, dessen du dich nicht als würdig erwiesen hast! Schweig stille!“ (Abgang, kopfschüttelnd.)

4 Gedanken zu „Magenbrot“

  1. Na da steh ich jetzt schön blöd da als Österreicherin.Ich hab gleich eine Umfrage gestartet: Magenbrot kennt keiner, noch nie gehört. Foto hergezeigt, hat auch keiner je gesehen. Ich geh jetzt mal zu Robert und speichere mir das Rezept.
    Aha, Wikipedia sagt „Nordschweiz und Süddeutschland“ – ist wahrscheinlich irgendwo in den Bergen hängengeblieben auf dem Weg nach Österreich …

    Antworten
  2. Die berühmteste Magenbrotfabrik der Schweiz ist mir bekannt. Landauf, landab wird deren Magenbrot an Märkten verkauft. Ich mag es nicht. Mein Ideal schmeckt anders. Beinahe wie meins. Weil aber mein erster Versuch noch verbesserungsfähig ist, wird es nächstes Jahr nochmals welches geben. In verbesserter Version.
    Danke für den Mut, ein Rezept von mir nachzubacken 🙂

    Antworten
  3. Glück gehabt, Küchenschabe, denn (bei Chefkoch.de gefunden): „Vor einiger Zeit habe ich in Österreich aber eine Tüte „Magenbrot“ gekauft… und das war garnicht lecker :/ Komisch zäh-flüssige Konsistenz, irgendwas zwischen Marmorkuchen und Pudding.
    Dann besser gar nicht erst kennen.

    Antworten

Schreibe einen Kommentar