Ich meine, man sollte das verbreitete Ich-nehme-ein-Stück-tiefgefrorenes-paniertes-Pressfleisch-werfe-es-in-die-Friteuse-und-nenne-es-Schnitzel-Wiener-Art als Straftatbestand klassifizieren, womöglich sogar als Kapitalverbrechen, und mit entsprechend hohem Strafmaß belegen.
Dabei geht es mir nicht um das offensichtliche kulinarische Desaster. Es geht mir auch nicht um das österreichische Reinheitsgebot, falls es sowas gibt. Sowas könnte mit Bußgeld wegen einer Ordnungswidrigkeit belegt werden und wäre dann auch schon vergeben und vergessen. Da begegnen einem in Kantinen und sogenannten Restaurants ganz andere Kaliber, auf deren Aufzählung ich hier zur Schonung der Leser verzichten will.
Nein, in dem angesprochenen Fall geht es um viel mehr; es geht um die Zukunft der gesamten Menschheit. Und weil ihr jetzt wahrscheinlich denkt, das sei übertrieben, muss ich wohl etwas ausholen.
Eine für die menschliche Existenz unabdingbare Eigenschaft ist das Urvertrauen.
Jede Millisekunde des Lebens ist potentiell katastrophal. An jeder Ecke kann der Säbelzahntiger lauern, und jeder Säugling weiß instinktiv, dass er allerhöchstens die Chance hat, sich mit der Bestie auf unentschieden zu einigen.
Von jeder Decke, bevorzugt der Himmelsdecke, kann ein Komet herabstürzen, der größer ist als das eigene Gesichtsfeld. Und auch wer (noch) nichts von Gravitationskräften, von Herrn Newton und von der Formel zur Berechnung der Fallgeschwindigkeit weiß, wird nicht lange daran zweifeln, dass das böse ausgehen wird.
In jedem Molekül der Atemluft kann sich eine Horde bösartiger Viren tummeln – und man weiß beim ersten keuchenden Hüsteln, dass sie gewonnen haben.
Hinter dem Rücken jedes Artgenossen kann ein Messer oder ein geschliffener Stein versteckt sein. Und während man ihn noch zahn- und arglos anlächelt, rinnt rotes Blut aus dem kleinen Herzen – wegen einer Babyrassel.
Warum also legt sich so ein Säugling nicht sofort wieder hin und verabschiedet sich mit einem Seufzer wieder von dieser Welt, bevor ihm größerer Schaden entsteht? Wegen dem Urvertrauen.
Jetzt gibt es Wissenschaftler, die behaupten, dieses Urvertrauen entstünde (Wikipedia) „in der allerersten Lebenszeit (im <extra-uterinen Frühjahr>)„. Das ist natürlich Quatsch. Meine eigenen Studien haben nämlich ergeben, dass es immer und ausnahmslos in derselben Situation entsteht, quasi aus dem Nichts:
Das Kleinkind krabbelt bei seiner Mutter in der Küche so vor sich hin, immer mit einem ängstlichen, sorgenvollen Blick , in dem auch ein wenig Wehmut über das baldige Ende mitschwingt, auf die üblichen Katastrophen im Küchenalltag der Mutter: der wütende Gatte schlägt zornig die Tür krachend hinter sich zu, der Teekessel quiekt zum Herzerweichen und erbricht sein Inneres auf die Hände der ohnehin weinenden Mutter, aus dem Toaster qualmt dunkler, bitterer Rauch und seine Lava-Brocken rieseln schwarz und verbrannt auf den Küchenboden, im Fernseher läuft die Übertragung eines FDP-Parteitags …
… und die Mutter? Lächelt kurz. Stellt ihre Tasse in die Spüle, bindet sich den Küchenschurz um und geht zum Kühlschrank. Sie kommt zurück mit Eiern, ein paar Scheiben Kalbfleisch und etwas geschlagener Sahne. Dann zerschlägt sie die Eier in einen tiefen Teller, wirft allerlei Pülverchen aus geheimnisvollen kleinen Behältern dazu, gießt einen Klecks Sahne an und beginnt sie mit einer Gabel liebevoll zu schlagen. Fast hat das Kind den Eindruck, dass ein Lächeln über das Gesicht der Mutter huscht. Aber schon nimmt sie ein dünn geschnittenes Fleischstück in die eine und einen schweren Klopfer in die andere Hand. Das Kind fürchtet sich aber nicht, weil es an der fast zärtlichen Art des Schlagens und Klopfens merkt, dass hier weder Mutter noch Fleisch etwas Schlimmes passieren wird. Die Mutter stellt noch zwei Teller bereit, füllt ein weißes Pulver in den einen und goldgelb-flauschige Krümel in den anderen. Sie gibt viel Butterschmalz in die schwere Pfanne und entzündet das Feuer, worauf das Schmalz sofort beginnt zu zerfließen und die Mutter dann sorgsam das Feuer reguliert. Die Fleischstücke, die jetzt zu großen, flachen Fladen geworden sind, werden sorgsam im weißen Pulver gewendet, durch die sahnige Eicreme gezogen und dann sanft in den Krümeln gebadet. Mit leichtem Druck befestigt die Mutter abfallende Krümeln wieder am Fleisch und legt es dann in die nicht zischende, sondern nur leicht brodelnde Pfanne.
Einige Minuten passiert gar nichts. Das Kind beobachtet vorsichtig wie die Mutter gespannt in die Pfanne starrt, als wolle sie den richtigen Zeitpunkt nicht verpassen. Und ja – da scheint er zu sein, die Mutter wendet das Fleisch und beginnt dann vorsichtig die Pfanne zu wiegen, wie sie es manchmal mit ihm macht, wenn es Bauchschmerzen hat. Das Fett schwappt leise über die herrlich gerösteten Krümel, die sich so freuen, dass sie leichte Wellen ausbilden und golden glänzen.
Dann nimmt die Mutter noch einen Teller für das Fleisch aus dem Schrank, geht mit ihm zum Tisch, setzt sich und nimmt das Kind auf den Schoß. Und das Kind weiß in diesem Moment – sei es des Geruchs des Fleisches oder Mutter wegen: Alles wird gut.
Und als das Kind älter wurde, steinalt sogar, blieben die Katastrophen natürlich nicht aus. Aber das Kind ging zum Kühlschrank und wusste: Alles wird gut!
Urvertrauen. Wenn schmierige Nahrungshersteller dieses Urvertrauen zerstören, dann gefährden sie den Bestand der Menschheit. Deshalb der Straftatbestand und das hohe Strafmaß. Nur deshalb.
Und außerdem sei ihnen in Erinnerung gerufen, dass das Wort „Restaurant“ von einer Inschrift über der Tür eines Herbergsvaters stammt: „Ego vos restaurabo“ – Ich werde euch wieder aufbauen. Wie um alles in der Welt wollt ihr das mit frittiertem Pressfleisch zuwege bringen?