Rindfleisch

Frau T. will einen Hühnerstall. Ich finde, die Versorgung mit Hühnern ist hier gar nicht mal so schlecht. Im Gegensatz zu Rind. Ich plädiere deshalb für ein Kälbchen.

Natürlich muss man sich dazu erst mal informieren. Wie hoch ist da die Rendite? Wann ist mit einem Return-of-Investment zu rechnen? Und ganz wichtig: Kann man mit einem Kalb auf dem globalen Markt konkurrieren, d.h. auf Deutsch: wie hoch sind die EU-Zuschüsse im Moment? Ich habe den Verdacht, das wird alles komplizierter als gedacht.

Zunächst mal scheint man sich heutzutage entscheiden zu müssen, ob man der Kuh ans Euter will oder an die Lende. Also ob man in die Milch- oder Fleischproduktion einsteigen will. Ursprünglich mal wollte eine Kuh einfach ihr Kalb groß kriegen. Dafür brauchte sie etwa 8 kg Milch pro Tag. Man hat ihr dann aber schnell beigebracht, dass das ziemlich eigensinnig ist und dass da ja gar nix für die Kinder-Milchschnitte übrig bleibt. Na ja, so ganz freiwillig eingesehen hat sie das ja nicht, aber mit ein bisschen Zureden hat das dann doch geklappt und so liefert eine amerikanische Hochleistungskuh heute eben mal um die 50 Liter pro Tag. Das sind dann pro Jahr – Urlaub, Sonn- und Feiertage abgerechnet – etwa 15.000 Liter. Pro Kuh – scheint kein schlechtes Geschäft zu sein und würde unseren Bedarf leicht decken. Den Rekord hält übrigens die Kuh „Evergreen-View My 1326“ mit einer Jahresleistung von 32.804 kg Milch mit 3,86% Fett und 3.12% Eiweiß, vielleicht kann man die ja für den Privatgebrauch klonen.

Allerdings mussten da die Kuhdesigner schon kräftig dran drehen, und so eine moderne Kuh hat mit Kuh eigentlich relativ wenig zu tun – und schon gar nicht mit jungem Bullen-Fleisch oder einem marmorierten Steak. Da muss man sich dann schon entscheiden. Was ja auch einleuchtet: Wenn man Milch in den Kaffe will, sollte man nicht vom Ochsenkotelett träumen, klar, oder? Entscheiden ist aber auch wichtig, weil die EU das so will oder vielleicht auch nicht will, aber ihre Förder-Prämien halt so ausgelegt hat. Und eine Kuh ohne Förderprämie, das scheint es nur im 18. oder 19. Jahrhundert gegeben zu haben, auf jeden Fall ist sie heute so unvorstellbar wie ein Teenager ohne Facebook-Account.

Die EU hat nämlich entschieden, die Welt mit einer Aufführung namens Agrarreform zu beglücken. Und hat dann entschieden, dass das nicht geht, weil alle dagegen sind. Und hat sie rückgängig gemacht, aber nicht richtig rückgängig, sondern ein bisschen. Und deshalb gibt es jetzt entkoppelte, teilentkoppelte und herkömmliche Förderungen. Und wie das jetzt genau zusammenhängt, müsst ihr den Bauern eures Vertrauens fragen, aber die Folge ist wohl, dass eine Mischhaltung (sowohl Muttertier- als auch Milchkuhhaltung) nicht mehr gefördert wird oder sich nicht mehr lohnt oder beides. Und deshalb wird Deutschland mehr und mehr zum „Milch-Land“ und die paar Muttertier-Bestände im Süden (Bayern und NRW) und in den europäischen Fleischländern Frankreich und Spanien nehmen kontinuierlich ab.

Das hieße ja, wir könnten mit unserem Kalb in eine Marktlücke vorstoßen! Gemach, vorher sollten wir uns noch – Region hin, Region her – den globalen Markt ansehen, denn schließlich sind „Lieferungen aus starken Rindfleischerzeugerländern zur Normalität geworden (…), ja diese stehen Gewehr bei Fuß, auch lebende Rinder per Schiff in die EU zu schicken“(). Und weil die Viecher ja ohnehin nicht mehr wissen, wie Gras aussieht, bringt ihnen irgendwer sicher auch noch das Schwimmen bei.

Wir könnten also unser Kalb auf die Weide schicken. Wenn die Bodenpreise – wie in China, Argentinien oder Brasilien – niedrig sind, ist das recht preiswert, weil kaum Arbeitskosten anfallen und eine Zufütterung normalerweise entfällt. Das heißt halt! Wenn der Anbau von Bioethanol weiter gefördert wird, könnte eine unschöne Konkurrenz auf dem Markt auftreten und die Bodenpreise steigen lassen und wenn der Klimawandel tatsächlich zu immer längeren Dürreperioden führt – wie in Australien oder Spanien – dann braucht man immer mehr Boden pro Rind und muss notfalls doch Futtermittel anbauen, wofür man wieder mehr Boden braucht und dann käme man mit den Sojabauern ins Gehege. Aber bei einem Kälbchen sollte man die Risiken noch abschätzen können.

Es wäre also zu überlegen, ob man nicht dem Kälbchen einen hübschen Stall baut, ein Silo daneben platziert und die so gewonnene Fläche dazu nutzt, die Mast mit einem Mais- oder Grassilage-System durchzuführen. Inzwischen gibt es nämlich auch sehr schöne „Kuhkomfort“-Ställe und eine App, die überwacht, ob die Tiere sich auch genügend bewegen. Scheint mir auch sehr reizvoll.

Zukunftsträchtiger wäre natürlich gleich auf ein Feedlot-System umzurüsten. Dabei wird gar nichts mehr angebaut, sondern Futtermittel werden ausschließlich zugekauft. Da die Futtermittelindustrie immer phantasiereichere Methoden erfindet, was auch immer in Eiweiß zu verwandeln, kann man so das Marktrisiko klein halten und der Platzbedarf ist nahezu zu vernachlässigen. Unser Kälbchen würde sich aber anfangs etwas einsam fühlen. So ein Feedlot-System kann schon mal auf 100.000 Tiere ausgelegt sein, das kommt dann wohl eher nicht in Frage.

Und Betriebe, die in die Kategorie „Cut & Carry“ eingeordnet werden? Ein – wegen Klima- und Sozialstruktur – vorwiegend indonesisches Mütterchen schneidet mit einer Sichel („Cut“) ein Büschel Gras und trägt („Carry“) es zu ihrem Rind, das dann, wenn eine Hochzeit stattfindet oder anderer Finanzbedarf entsteht, zum Markt getrieben und geschlachtet wird. Das wäre zwar was für meine alten Tage, aber dafür gibt es keine App.

Ich könnte jetzt noch vieles erzählen, über Rentabilität und Faktorkosten, ganz wenig nur über Geschmack, einiges über Familienbetriebe (Bauer sucht Frau), ein bisschen Sozialromantik mit weidenden Rindern vor glutrotem Sonnenuntergang, aber eigentlich ist die Entscheidung gegen ein Kälbchen gefallen, weil mir ganz zum Schluss klar wurde, dass so ein Kalb nicht mal rückstandsfrei gelagert werden kann: Es gibt zwar ein Institut in der Nähe von Leipzig, wo untersucht wird, ob man mit einer Nahrungsumstellung das ausgepupste Methan reduzieren kann, aber die Frage“ Wohin mit dem Pipi?“ ist noch völlig ungelöst. Holland sagt jetzt erst mal: „Nicht zu uns!“. Wir Niedersachsen nehmen’s aber gerne ab, bringt schließlich Kohle. Nur: Über 60% der Flächen in Niedersachsen sind hoffnungslos überdüngt, was zu Phospat- und Nitrat-Konzentrationen im Grundwasser führt, die um ein Vielfaches über den EU-Grenzwerten liegen. „Gülletourismus“ macht das nicht besser.

Ich kaufe jetzt doch das Buch von Ottolenghi. Aber heute Abend gibt es erst mal ein schönes marmoriertes Steak, beim Metzger meines Vertrauens gekauft. Herkunft: Argentinien. Die Kartoffeln aber kommen von hier, auch wenn sie La Ratte heißen.