Rettungsversuche. Zum Scheitern verurteilt?

Gut, es mag sein, dass ich ein wenig spät dran bin. Sohn T. hat jetzt auch schon fast anderthalb Dezennien auf dem geplagten Pennäler-Rücken. Und da könnte man sagen, es sei an mir gewesen in all den Jahren, erzieherisch tätig zu sein.

Kein Zwang, kein Druck, um Gottes Willen! Fingerzeige vielleicht, Hinweisschilder für den steinigen Weg in die Zivilisation. Begründungshilfen für die schwierigen Fragen im Leben. Wie zum Beispiel: Wozu in aller Welt gibt es Stubenfliegen und warum sollte ich mir die Zähne putzen?. So was, in der Richtung wär bestimmt hilfreich gewesen. Aber ich hab’s verpennt.

Beim Aufräumen ist mir das wieder klar geworden. Und ich habe den Vorsatz gefasst, das nachzuholen. Da, beim Aufräumen nämlich, sind mir die lesenswerten Ausführungen von Herrn Carl Friedrich von Rumohr 1) wieder in die Hände gefallen. Sie tragen zwar den Titel „Vom Geist der Kochkunst“ und waren mir immer eine Stütze bei alltäglichen Verrichtungen wie zum Beispiel beim vorschriftsgemäßen Anfeuern des Ofens, und bei der Herstellung von kräftigen Sülzen und Säften der Seetiere, sie sind aber beileibe nicht nur Anleitung und Hilfe in praktischen Dingen, sie bieten auch genügend geistige Stütze und manch lehrreiche Einsicht. Woran ich mich zeitlebens ausgerichtet habe, ist zum Beispiel der zarte Hinweis:

„Ich fordere die Unglücklichen auf, welche dem Laster der Schleckerei häufige Opfer zu bringen pflegen, die ganze Verkettung zu überdenken, in welcher sie allgemach bis zur Unheilbarkeit verdorben sind.“

Wohl wahr, hört, hört!. Und so fehlt dann natürlich auch das Kapitel „Von der Erziehung zum Essen“ nicht, das mir in den nächsten Wochen Anregung und Leitfaden sein soll.

Da ist zunächst einmal die Ermahnung an mich, dieses Vorhaben ernst zu nehmen und nicht schleifen zu lassen, wie in all den vergangenen Jahren:

„Man versetze sich nur einmal unter die Wilden entfernter Weltgegenden oder an den Tisch eines Hausvaters, der seine Kinder, wie’s so oft geschieht, gleich den Bestien aufwachsen läßt: um kennenzulernen, daß es dem Menschen nicht von Natur gegeben ist, reinlich, bescheiden und ruhig zu essen, wie es gesellige Mahlzeiten, ja wie es die Gesundheit des Essenden selbst erheischt.“

Nun denn, was kann ich tun? Ich will mir die Aufgabe nicht zu schwer machen und die Kapitel „Wie ein Knab zu Tische sich anschicken und denselben bereiten soll“ sowie „Wie ein Knab, wenn er zu Tische dienet, sich verhalten soll“ vorläufig außerAcht lassen, das es mir im Moment unmöglich erscheint, einen Teenager des Jahres 2012 davon zu überzeugen, dass Geschirr, Besteck und Speise nicht von alleine auf dem Tisch wachsen.

So möchte ich mich also vorläufig auf das Kapitel „Wie ein Knab sich verhalten soll, wenn er mit zu Tische sitzt“ konzentrieren, welches mehr als genug Punkte aufführt, bei denen es hie und da hapert und die es stets zu bedenken gilt.

Die Grundlagen

„…wasche die Hände und setze dich züchtig nieder. Sitze aufrecht und sei nicht der erste, in die Schüssel zu langen.“

„Schlürfe die Speise, etwa die Suppe, nicht hinein wie ein Schwein; blase die Kost auch nicht, daß es allenthalben herumspritze.“

„So du trinkest, säubere die Lefzen nicht mit der Hand, sondern mit einem Tüchlein. Trinke auch nicht, weilend du die Speise noch im Mund hast.“

Du sollst auch nicht zugleich essen und reden, denn solches ist bäurisch.“

„Stöchere die Zähne nicht mit dem Messer, sondern mit einem Zahnstocher oder Federkiel; denn von dem Messer rosten die Zähne, wie das Eisen vom Wasser.“

„So du Fleisch willst vorlegen, oder Fisch, so tue es mit dem Messer und nicht mit den Fingern, wie es heutigen Tages etliche Nationen gewohnt sind.“

„Schmatze nicht wie eine Sau über dem Essen. Dieweil du issest, kratze dein Haupt nicht. Fege auch nicht an der Nase.“

„Mache das Tischtuch oder das Wammes nicht unsauber. Mache auch nicht um deinen Teller von Beinen, Brotrinden und dergleichen eine Schütte, wie die Schatzgräber.“

„Wirf auch nicht die Beine unter den Tisch, damit von den Hunden kein Scharmützel entstehe und die Beisitzenden darob eine Unlust empfänden.“

Das sollte denn auch für die nächste Zeit reichen. Mehr freundliche Hinweise und Ratschläge könnten ein junges Gemüt zudem verwirren und ein heilloses Durcheinander zerebraler Natur bewirken. Und das wollen wir ja nicht.

Da ich nun natürlich weiß, dass ich mich mit diesem Vorhaben der Kritik all derer aussetze, die ihr Leben dem Kampf gegen Zwänge, Autoritäten und Vorschriften gewidmet haben, lege ich Wert darauf, dass wir – also der Herr von Rumohr und ich – durchaus auch vom Geiste der Liberalitas umweht sind und uns der Kühnheit des Vorhabens durchaus bewusst sind. Dennoch glauben wir: es reicht!

„Gewiß sind die die mitgeteilten Anforderungen an die Jugend höchst billig, und man hätte daher nur zu diesen oder zu ähnlichen zurückkehren sollen, als man vor einigen Dezennien das eiserne Joch verzerrter Sitten abwarf. Denn obgleich es nur schaden konnte, die Jugend, wie früherhin geschehen, in eigensinnige, übereinkömmliche Formen zu zwängen, so hätte man deshalb doch keineswegs aller vernünftigen und naturgemäßen Zucht und Ordnung entsagen sollen.“

 

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1) alle Zitate aus: Carl Friedrich von Rumohr: Vom Geiste der Kochkunst. Zweite Auflage, 1832. Nachdruck: Verlag Lothar Borowski. (Auch erhältlich als Taschenbuch bei Suhrkamp/Insel)

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