Schnitzeljagd

Die Tragödie meines Lebens, meines, so darf ich sagen, an Tragödien nicht eben armen Lebens, ist: Ich liebe Jägerschnitzel.

Mit Tragödien ist das so eine Sache. Man versteht es meistens nicht so recht. Romeo, zum Beispiel, kann seine Julia kaum gekannt haben; es gab weder Facebook noch WLAN und am Dorfplatz von Verona hätten sie sich – bei ihrer vertrackten Geschichte –kaum treffen, geschweige denn sich unterhalten können, ohne allergrößte Verwicklungen auszulösen (was ihnen ja dann doch noch grandios geglückt ist). Trotzdem dachte er offensichtlich: das muss toll sein, auf diesen Balkon will ich rauf! Wie er auf diesen Gedanken kam, ist mir und der Fachwelt völlig schleierhaft, zumal Männer bei Frauen ja bekanntermaßen eher nicht auf das Äußere achten. Es verwundert deshalb auch nicht, dass es völlig schief ging.

Bei mir und dem Jägerschnitzel ist das ähnlich. Ich kann es nicht gekannt haben. Dennoch wusste ich: das muss toll sein, das soll auf meinen Teller! In unserer Familie waren Pilze Champignons und diese Champignons gab es am Anfang gar nicht und später kamen sie aus der Dose. Es mag sein, dass sich auch mal ein Glas „Waldpilze“ in die Speisekammer verirrt hat, ich kann mich daran aber nicht erinnern und halte es für eher unwahrscheinlich. Wenn man im ländlichen Raum aufgewachsen ist, also praktisch mitten im Wald, dann könnte man ja denken, dass Pilzesammeln eine Lösung wäre. Aber da war die Evolution vor. Sie hat nämlich festgestellt und über viele Jahre hinweg verifiziert, dass im Durchschnitt Menschen, die keine Pilze finden deutlich länger leben als Menschen, die die falschen Pilze finden. Und hat deshalb das Pilze-Überhaupt-Nicht-Finden-Gen erfunden und mich (und meine ganze Mischpoke) damit ausgestattet. Dafür bin ich dankbar. Aber es hat meiner Liaison mit dem Jägerschnitzel natürlich nicht gutgetan.

Ich habe nicht rechtzeitig erkannt, dass der Freitod bei einer solchen unglücklichen Liebe eindeutig die beste Wahl wäre. Aber so kann ich wenigstens ausrufen: Ach! Romeo! Welche Niederlagen, welche Schmerzen, welche Enttäuschungen sind dir erspart geblieben! Trockene Schnitzel! Im weißem Mehlpamp ersoffene Pilzabschnitte! Mit Pommes frites! Und – zarte Leser bitte weghören – Panierte! Schnitzel! Ach! Romeo! Was ist dir alles erspart geblieben.

Trotzdem habe ich nie nachgelassen in meiner Liebe. Das hättest du auch nicht getan, Romeo. Immer wieder habe ich es bestellt, in rauchigen Kneipen, in Kaschemmen und – wider besseren Wissens – in Landgasthäusern. Dort habe ich oft geweint, war verzweifelt und niedergeschlagen. Aber ich habe nicht nachgelassen. Und seit ich eine Küche habe, weiß ich warum. Du hättest dich auch noch gedulden sollen, Romeo, vielleicht hätte es sich gelohnt.

Thorsten Lange hat ihn kürzlich im Rezeptor widerbelebt, den „gutbürgerlichen Gasthof-Klassiker aus dem vorigen Jahrhundert“ – in welchem Gasthof war das? Ach Jägerschnitzel, so hätte ich dich noch mehr geliebt. Oder so wie 2001 im essen&trinken „alla Italia„, so mag ich dich auch, liebes Goldschnitzelchen.

3 Gedanken zu „Schnitzeljagd“

  1. Na geeeehh – jetzt muss ich als Österreicherin aber schon protestieren: Dein Jägerschnitzel mag ja gut sein, ich ess sowas auch beizeiten, aber panierte Kalbsschnitzerl, in selbstgemachtem Butterschmalz gebacken, mit Erdäpfelsalat – was Besseres gibt’s doch gar nicht!

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  2. Heast – meiner nach wie vor stürmischen Affäre mit dem panierten Kalbsschnitzerl hab ich ja schon mal Ausdruck verliehen. Aber jetzt im Herbst, wenn der Pilz ruft …
    Kulinarisch neige ich zu serieller Monogamie

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