In lockerer Folge möchte ich mich um Redensarten kümmern, die sonst vielleicht verloren gehen oder in Vergessenheit geraten, weil sie nicht in 140 Zeichen passen und somit aus dem Crowd-Gedächtnis verschwinden. Was manchmal schade wäre und manchmal auch nicht. Überhaupt: was geht nicht alles verloren? Die Unschuld, an die können wir uns kaum noch erinnern, aber sie war mal da, soviel ist sicher. Und der Glaube an das Gute im Menschen; na ja: der Mensch ist schon gut, aber die Leute halt nicht.
Trotzdem, wenn man dem Schwund entgegen wirken kann, sollte man nichts unversucht lassen. Und deshalb geht es in Folge 1 um
„Kein Haar am Sack, aber La Paloma pfeifen“
Diese schöne Redensart veranschaulicht treffend den Unmut älterer Menschen angesichts der Chuzpe des jungen Menschen, mal eben eine Weisheit vom Stapel zu lassen, für deren Beurteilung sein junges Gehirn eben noch nicht ausreichend entwickelt scheint. In guten Momenten nennt man das dann Unbekümmertheit und schüttelt freundlich und nachsichtig den Kopf. In weniger guten Momenten – und diese nehmen offensichtlich parallel zum Lebensalter zu – greift allerdings die Verzweiflung um sich, weil man es sich nicht vorstellen kann, dass aus einer solchen unverfrorenen Phrasenschleuder einmal ein weiser Mensch werden soll, der gute Gedanken abwägt , sich vorsichtig mit anderen berät, bevor er sich zu Wort meldet, um dann aber die Welt und das Dasein ein geraumes Stück besser zu machen. Aber vielleicht haben ja wir, die wir uns diesem Kreis mit Fug zurechnen, auch mal klein angefangen? Nein!
Gegen andere Bilder, wie etwa dem von den Eierschalen hinter den Ohren, kann die oben erwähnte Redensart hauptsächlich dadurch punkten, dass schon der Tonfall, mit dem man sie ausspricht (oder dringen aussprechen sollte), den ganzen Zweifel am jungen Menschen auszudrücken vermag, der sich in einem langen Leben peu à peu angesammelt hat. Zu Beispiel kann man einen tiefen Seufzer an den Anfang setzen, um dann mit heller Stimme zu beginnen und im Verlauf des Satzes immer dunkler und sonorer zu werden, bis am Ende der Seufzer wieder aufgenommen und gegebenenfalls leicht moduliert werden kann. Die eigene Depression kann sich so auf einem Umkreis von mehreren hundert Metern schwer niederlegen und alles dahin raffen, was eben noch unbekümmerte Freude und Zuversicht war. Schön.
Gelegenheiten für den Gebrauch dieser Wendung finden sich ja nun wahrlich nicht wenige. Da ist zum Beispiel einer, der Ingwer ins Spätzle-Wasser wirft, weil das der Verdauung zuträglich sei, als sei schon einmal jemandem mit Verstand zu Ohren gekommen, dass Spätzle unverdaulich seien. Oder ein anderer, der seine Ravioli-Dose öffnet und seinen Löffel tief in die nicht erwärmte Pampe taucht, weil er meint, dieser Geschmack sei völlig neu und nicht zu übertreffen. Als hätten wir das nicht wirklich alles hinter uns. Und dann wird wieder ein anderer nicht müde uns zu versichern, dass eine Karotte ans ich eher langweilig sei und dringen der molekularen Umgestaltung bedürfe. Als wüsste der überhaupt noch, was eine Karotte ist.
Ein trauriges Thema, aber eine schöne Redensart. Ich denke, mit La Paloma ist Hans Albers gemeint.