Muffelofen

Angefangen hat das alles, als die Küchenschabe Pantoffeln ins Backrohr geschoben hat. Nein, das hat jetzt noch nichts mit dem Muffelofen zu tun! Pfiffig, wie sie nun mal ist, hat sie nämlich einfach „Ciabatta“ wörtlich übersetzt. Und ins Rohr geschoben hat sie deshalb einen Teig aus Hefe, Wasser und Mehl. Typ 00, schreibt sie.

Da die südlichen Halbeuropäer sich ja aus Prinzip nicht an die deutsche DIN-Norm halten wollen, weder beim Rindfleisch noch beim Mehl, war mir sofort klar, dass das eine geheime Mischung sein muss, die südwestlich von Wien von einer einzigen Mühle bei Vollmond zusammengerührt wird und hier in Deutschlands Norden nur sehr schwer erhältlich sein wird.

Aber nein, teilt sie auf Anfrage mit, sie kauft ihr Mehl noch weiter südlich und meint das italienische „Tipo 00“ – wieder eine andere Geschichte aus dem großen Märchenbuch der europäischen Harmonisierung von Handelsbezeichnungen.

Da ich nur noch ein Päckchen Tipo 00 im Schrank hatte, das ich aber für den Ravioli-Teig brauche, konnte ich ihr Brot nicht (sofort) nachbacken und hatte deshalb etwas Zeit, die schöne DIN-Vorschrift 10355 hervorzuholen, und etwas darin zu blättern.

Diese DIN-Norm hat – wie alle deutschen Normen – eine innere Schönheit und Klarheit, die es umso unverständlicher macht, dass sie nicht längst auch von störrischen südlichen Bergvölkern verwendet wird. Gut, deren Brot schmeckt besser, aber das ist ja noch kein Grund, sich willentlich ins Abseits zu stellen! Man sagt nämlich laut DIN einfach „Type“ und hängt eine Zahl hintendran. Diese Zahl aber ist nicht etwa in der Kantine ausgewürfelt worden, nein, sie „bezeichnet den Mineralstoffgehalt in Gramm pro 100 kg wasserfreiem Mehl“. Bitte, was spricht da dagegen, lieber Tiroler, Vorarlberger und wie ihr alle heißt? Sicher, unbedarfte Menschen könnten denken, dass 812 und 815 nicht allzu weit auseinander liegen sollten. Aber gefehlt! 812 ist nämlich ein Weizenmehl für helle Mischbrote, während es sich bei 815 um ein helles Roggenmehl handelt, was hie und da das Backergebnis leicht beeinflussen mag. Und die „Type 812“ kann übrigens auch Dinkelmehl sein. Ob und welche Auswirkungen wiederum dieses hat, kann ich nicht beurteilen.

Und wie ist das nun im Ausland, und warum? Nun, die Österreicher haben auch irgendwelchen Typen, natürlich andere (z.B. sagen sie W480 zu Type 405), aber eigentlich unterscheiden sie hauptsächlich nach Korngröße: glatt, universal, griffig und doppelgriffig. Na gut.

Die Schweizer machen es uns (oder sich) einfach: Weissmehl, Halbweissmehl oder Vollkornmehl. Das können sie sich merken, mehr brauchen die nicht, aber dafür profitieren sie halt auch nicht von unserer schönen Norm. Aber halt! Da gibt es ja noch das „Ruchmehl“, was nichts mit „verrucht“ zu tun hat, sondern – in der Schweiz halt so heißt (Type 1050 oder W1600).

In Italien gibt es tipo 0, tipo 1 und tipo 2 – offensichtlich auch gestaffelt nach Mineralgehalt. Und irgendwann ist ihnen aufgefallen, dass sie eines vergessen haben. Aber da sie nunmal mit 0 angefangen hatten und unter null auch in Italien nicht geht, heißt das jetzt „tipo 00“; da müsste doch dringend mal ein deutscher Ingenieur aufräumen.

Was aber hat das jetzt mit dem Muffelofen zu tun? Der ist – obwohl Anlass der kleinen Recherche – eine einzige riesige Enttäuschung. Nichts muffelt oder riecht streng; es „ist ein Ofen, in dem die Wärmequelle von der Brenngutkammer durch einen hitzebeständigen Einsatz – eine Muffel – getrennt ist„. Man könnte darin sogar Pantoffeln ohne Geruchsbelästigung erhitzen, aber man braucht ihn halt, um den Mineralstoffgehalt – ihr erinnert euch – von „wasserfreiem“ Mehl zu bestimmen. Eben damit es nicht brennt und muffelt!
______________________________
Alle Informationen aus dem Wikipedia-Artikel Mehl. Dass der Mineralgehalt natürlich kein Qualitätsmerkmal ist und es noch tausend andere Kategorisierungen gäbe, kann man im „Handbuch Backwaren“ nachlesen, das bei Google Books einsehbar ist. Wer sich dafür interessiert, wie Mehl heutzutage industriell „verbessert“ wird, besser geeignet für Tiefkühlteige, aufgehellt und für voluminösere Teige getuned, der sollte sich „Mehlbehandlung in Europa“ anschauen.