Q13: Das Zimperlieschen

„Hallo, Tomate“ sagte ich vorsichtig. „Hallo“, kam eine piepsige Stimme von schräg unten. „Bist du mein Gärtner?“ Das hörte sich schon mal gar nicht gut an.

„Hmmhh“ nickte ich zustimmend. „Und genau darüber wollte ich mal mit dir reden, weißt du.“

„Wieso reden?“ fragte sie aufgeregt, „weißt du etwa nicht, was du tun sollst? Du musst mich pflegen und hätscheln und ein bisschen düngen und gießen und ganz, ganz vorsichtig. Komm schon, du gast mich gesämt, jetzt musst du da auch durch.“

„Gesämt? Was soll das denn für ein Wort sein? Außerdem hab ich dich nicht gesämt. Weißt du, ich bin viel zu alt und kann keine Tomaten mehr kriegen. Ich hab dich adoptiert.“

„Uäääh!“ weinte sie herzzerbrechend los. „Und wer war dann mein richtiger Gärtner? Wo komm ich her, wo soll ich hin und wer war meine Mama?“

Ich kam ins Stocken. „Du liebe Zeit, woher soll ich das wissen? Ich glaube, du kommst aus der Tomatenfabrik. Und Tomaten haben gar keine Mama. Hör auf zu weinen! Ich muss mit dir reden“

„Schon!“ protestierte sie heftig, „natürlich haben Tomaten eine Mama! Los! Sag schon, wer war sie, wo ist sie, wann kommt sie?“

„Okay, Tomätchen, ist schon gut. Vielleicht hast du recht. Ich weiß es nicht. Aber schau, du hast eine nette Patentante, die Küchenschabe …“

„Igittigitt! So ein krabbelndes Käferchen? Ich kann Ungeziefer nicht ausstehen! Tu sie weg!“

„Jetzt mach aber mal einen Punkt, Tomate“ sagte ich etwas resoluter. „Du kennst sie doch gar nicht! Die ist echt nett! Und sie macht sich sogar Sorgen um dich.“

„Ich will zu meiner Mama!“

„Sei nicht ungerecht. Sie meint es wirklich gut mit dir! Zu gut, sogar. Sie behauptet zum Beispiel, du bräuchtest ein Dach nur für dich allein…“

„Natürlich brauch ich das! Ich werd ja sonst nass, spinnst du? Ich werd braun, ich krieg die Braunfäule! Hiiilfe! Wo bin ich hier hingeraten? Bau sofort ein Dach, sonst sag ich’s meiner Patentante!“

Irgendwie begann das Gespräch in exakt die falsche Richtung zu laufen, aber ich wollte noch nicht aufgeben.

„Schau, Tomätchen, ich hab dir hier mal deine Tante aus dem Supermarkt mitgebracht. Und jetzt sieh genau hin: Ich schmeiß sie gegen die Wand – und sie kommt brav zurückgehoppelt und nix is passiert! Absolut nix, kein Makel nirgends. Und jetzt, pass auf, halte ich sie unter die Dusche! Na? Siehst du, wie sie sich freut? Also stell dich nicht so an – hier regnet’s doch eh kaum.“

„Sags doch einfach!“ schrie sie los, „Sags! Dass du mich nicht magst! Dass du mich umbringen willst! Dass ich dir gar nichts bedeute! Dass du ein Rabengärtner bist! Los, sags schon!“

„Also hör mal her, Tomate“ lenkte ich ein. „Wir müssen jetzt ein paar Wochen zusammenhalten. Notgedrungen. Und wenn beide ein bisschen nachgeben, dann wird das viel einfacher. Also du verzichtest auf das Dach und ich halt dir die Schnecken vom Leib. Abgemacht?“

„Nix da!“ sagte sie, gefährlich ruhig. „§253 TomStgB: artgerechte Haltung. Das zieh ich durch! Ich bin rechtschutzversichert! Probiers nur!“

„Das ist ja Klasse. Gewerkschafterin, was? Bei der aktuellen Überlastung der Gerichte kommt es aber frühestens im Dezember zum Prozess. Überleg dir das gut. Weil bis dahin …

„Willst du mir drohen?“

„Nein, natürlich nicht!“ versuchte ich zu vermitteln. „Aber deine Patentante… Zufällig weiß ich, dass sie schon Pläne hat, die ich jetzt natürlich nicht verraten will – ich kenn sie ja selber nicht.“

„Aber ich brauch doch einen Schutz!“ sagte sie weinerlich.

„Jaaa, ich bau dir dein Drecks-Dach, alte Zimperliese! Aber halt jetzt die Klappe!“

Kennt jemand einen begabten Schreiner?