So ein Food-Blogger hat ja ein angenehmes Leben: Immer was Warmes zu essen und Zutaten dürfen ab und zu auch schon mal etwas teurer sein, weil die Haushaltskasse ja durch das Hobby-Budget gestützt wird. Deshalb beneide ich die auch immer ein wenig, wenn ich meinen erwärmten Tiefkühlbeutel aufreiße.
Jetzt hat mir aber einer erzählt, dass das auch ganz schön stressig sein kann. Und zwar wegen der Säsong. „Säsong“, sagt er, „Säsong ist ganz, ganz wichtig! Auf nix reagiert ein Blog-Leser allergischer als auf die Säsong! Einmal Spargel im Weihnachts-Menu und Schluss! Den Blog liest kein Mensch mehr, da kannste dich auf’n Kopp stellen; Schluss! Finito! Amen!“
„Kann es sein“, frage ich, „ist es vorstellbar, dass du ein wenig übertreibst? Wer hat denn heute noch einen Schimmer von saisonalen Produkten? Und woher auch. Das Gemüseregal sieht rund ums Jahr exakt identisch aus – der Verbraucher mag nämlich keine Überraschungen. Und wenn man dann mal über Land fährt, dann stehen da so kleine grüne Pflänzchen auf den Feldern, die mal alles Mögliche werden können. Und wenn man dann später wieder vorbeikommt, ist schon abgeerntet. Wie soll man da was über die Säsong wissen? Oder weißt du, ob da unter den Folien Spargel wächst oder Rosenkohl?“
„Aber genau das isses doch! Genau das macht die Säsong für den Blogger doch so gefährlich! Ich sag dir: die ganze Säsong ist für den Blogger ein einziges großes Fettnäpfchen. Ganz schlimm sind Erdbeeren. NIEMALS Erdbeeren außerhalb der Säsong! Noch schlimmer als Spargel!“
„Und wann, bitte, ist denn nun Erdbeer-Säsong?“
„Ganz einfach: Sobald sich der erste Blogger traut. Gut, der erntet vielleicht noch ein bisschen Kopfschütteln. Erdbeeren im Februar! Aber weiß man’s? Auf jeden Fall: damit ist die Erdbeer-Säsong eröffnet. Schnell raus mit den Erdbeer-Rezepten, die interessiert nächste Woche kein Schwein mehr!“
„Oh, Oh! Und wenn du jetzt gerade Rhabarber im Garten hast? Dann müssen die Rhabarber-Rezepte warten, oder was?“
„Garten! Vergiss bloß den Garten! Was hat der denn mit Säsong zu tun? Schau mal, wenn die Südlichter gerade ihr Erdbeer-Balsamico-Schäumchen posten, dann sind wir hier doch gerade mal beim Schnee-Schaufeln! Wenn du Food-Blogger werden willst: Vergiss den Garten!“
Okay, ich bleib dann mal lieber beim Tiefkühlbeutel. Stress tut mir nämlich überhaupt nicht gut. Und, auch wenn ich es mich jetzt kaum zu sagen traue: Ich hab noch Rhabarber im Garten. Und ein Rezept in petto, das der Nachwelt überliefert werden muss:
Rhabarber-Tarte
- 1 kg Rhabarber schälen, in Scheiben schneiden, mit 80 g Zucker bestreuen und 30 Minuten ziehen lassen. Dann in einer großen Pfanne schmoren, bis die Flüssigkeit fast verdampft ist. Durch ein Sieb abtropfen lassen.
- Inzwischen aus 250g Mehl, 125 g (kalter) Butter, 100 g Zucker, 2 Eigelb und 1 El Milch schnell einen Mürbeteig kneten und, in Klarsichtfolie eingewickelt, 30 Minuten im Kühlschrank ruhen lassen
- Teig auf bemehlter Arbeitsfläche ca. 3mm dünn ausrollen, in eine gebutterte Springform legen, mehrmals mit einer Gabel einsteechen.
- 2 Eier und 60 g Zucker und das Mark 1 Vanilleschote im heißen Wasserbad cremig auf- und danach kalt abschlagen. Mit 20 g Speisestärke (gesiebt), 120 g Creme fraiche und 80 g Magerquark mischen und über den Rhabarber gießen
- Im vorgeheizten Ofen (200° Ober/Unterhitze) 20-25 Minuten backen. 5 Minuten vor Backende mit 1 TL Puderzucker bestreuen. Nach dem Backen 10-15 Minuten auf einem Rost auskühlen lassen
Allerdings: Wer diese sehr feine Tarte, bei der das Rhabarber-Kompott mit dem Vanillearoma des edlen Eiergusses und dem etwas bröseligen Mürbeteig eine noch nie dagewesene Harmonie eingehen, der muss sich schon etwas sputen. Der Rhabarber hat nämlich wirklich eine Säsong. Wann die beginnt, bestimmt wie gesagt der erste Blogger, der sich traut. Aber wann sie endet, ist seit Jahrhunderten überliefert:
Exakt am 24.Juni jeden Jahres, wahrscheinlich gegen 0:15h, wird Rhabarber schlagartig giftig!
Alle neumodischen Spinner, die etwas anders behaupten, von Oxalsäure schwafeln, die sich langsam aufbaut und sogar den 1. Juli noch für ernte-geeignet halten, haben keine Ahnung. Es ist nämlich so, dass der 24.Juni der Johannes-Tag ist, auch Johanni genannt. Und genau diesen Tag sucht sich der Rhabarber für den zweiten Wachstumsschub aus, der – na? – auch Johannistrieb heißt. Warum in aller Welt sollte der so heißen, wenn es auch ein anderer Tag sein könnte? Wichtig ist aber: dieser zweite Wachstumsschub ist wichtig, damit man nächstes Jahr wieder Rhabarber ernten kann. Und deshalb sollte man der Pflanze dabei etwas Ruhe gönnen und nicht an ihr rumschnippeln, giftig hin, giftig her.
„Ich pfeif jetzt auf die Säsong“, höre ich von hinten, „ich mach jetzt auf nachhaltig, das kommt auch gut an!“