Schwermut

Schwermut tropft am Fenster, eiskalt klirren tiefgefrorene Finger auf der Tastatur. Ich vermisse Schneeflocken, aber das ist ja heutzutage kein Problem mehr. Im Internet – drei Minuten Schneefall:

Überhaupt das Internet. Ich liebe Informationen – gerade im Winter. Echtes, überprüftes Wissen für die Kontemplation am Kaminfeuer. Nicht dieser Schrott, den unsere Lehrer uns andrehen wollten. Manchmal vergleiche ich in Gedanken Fräulein Z. – meine Chemie-Lehrerin – mit Siri; meine Güte, welcher Unterschied! Fräulein Z. hatte nur einen sehr rudimentäre Code zur Verfügung – H2O, NaCl, solche Sachen. Was die bedeuten, war oft unklar und musste – bei Interesse – aus dicken Folianten in staubigen Bibliotheken ermittelt werden. Gott sei Dank hielt sich das Interesse normalerweise in Grenzen, sonst wären Kindheit und Jugend deutlich düsterer verlaufen. Heute dagegen Klartext: „Kochen Sie die Nudeln laut Packungsangabe in Salzwasser“. Geht doch.

Aber, um der Wahrheit die Ehre zu geben: manchmal irrt sich das Internet auch. Auf meine Anfrage: „Ist dieses Wetter noch steigerbar?“ kam doch tatsächlich die Antwort: „Nein. Weil Substantive nicht gesteigert werden können.“

Man stelle sich das mal vor! Ich habe tatsächlich noch weitere Links mit ähnlichem Inhalt gefunden. Bislang ist mir aber noch keine befriedigende Begründung zu Ohren gekommen, wie es zu dieser Fehlinformation kommen konnte. Offensichtlich hat einer vom anderen abgeschrieben, ohne darüber nachzudenken. Ich will deshalb meinen bescheidenen Beitrag leisten, diesen Unfug aus der Welt zu räumen:

Mal – Maler: Wer nur ein Bild malt, gilt als Mal (auch: Einmal). Nur bei größerer Produktion kann der Künstler sich mit Fug und Recht als Maler bezeichnen.

Schrein – Schreiner: Jahrhundertelang gab es den Beruf des „Schreins“, benannt nach dem Behältnis, das er anfertigte. Erst in der großen Finanzkrise im 5. vorchristlichen Jahrhundert sah sich ein Schrein genötigt zu diversifizieren und auch Truhen, Schränke, Betten und Küchenregale herzustellen. Um sein erweitertes Produktspektrum kenntlich zu machen, ohne alle einzelnen Behältnisse aufführen zu müssen, nannte er sich kurz Schreiner.

leer – Lehrer: ist, da „leer“ kein Substantiv ist, kein sehr geglücktes Beispiel, dafür ergibt sich die Genese des Wortes für junge Menschen quasi von allein.

Schabe – Schaber: In früheren Zeiten wurde die Schabe, genauer der Panzer, gerne verwendet, um Essensreste vom Herd zu kratzen (deshalb auch: Küchenschabe). Im Laufe der Jahrhunderte wurden allerdings Materialen entwickelt, die bedeutend besser für diesen Zweck geeignet waren, also als Schaber bezeichnet wurden.

Koch – Köcher: Ein interessanter Fall einer umgekehrten Steigerung, da es zuerst den Köcher gab, benannt nach dem Behältnis, in dem er die Pfeile aufbewahrte. Erst wenn er mit der Mammutkeule wieder zurück kam, übergab er die Beute jemandem, der sie zerlegte, würzte und schmackhafter machte. Da dieser Jemand natürlich weniger wichtig war, weil er ohne Beute aufgeschmissen gewesen wäre, nannte man ihn kurzerhand Koch.

Es gäbe noch viele Beispiele, die als Beleg angeführt werden könnten (Schneid-Schneider, siehe das tapfere Schneiderlein), es kommt mir aber nur darauf an, den Jugendlichen und Kindern unter meinen Lesern eine Mahnung zu widmen:

Kinder, aufgepasst: Manchmal stehen im Internet auch Dinge, die einfach nicht stimmen. Das ist natürlich die Schuld von uns, der älteren Generation, die noch irren konnte. Bevor das nächste Internet-Upgrade installiert ist, solltet ihr aber vorsichtig sein!

(P.S.: Auf dieser Seite habt ihr nichts zu befürchten. Der Autor irrt sich nie.)