Im Schatten des Kerbelzweiges

Kinder, wie die Zeit vergeht!

Neulich bin ich auf eine Zeittafel der Kochkunst und der Ernährungsgeschichte gestoßen. Wir lassen jetzt mal die interessante Frage beiseite, was beim Urknall geknallt hat, und sagen einfach mal, dass

vor 10 bis 5 Milliarden Jahren die Milchstraße und Spiralnebeln entstanden sind

 

Und dann war eine kleine kulinarische Durststrecke, bis

vor 3 Milliarden Jahren einzellige Algen und Bakterien auf dem Tisch lagen

 

Es hat dann nochmal ein wenig gedauert, bis

vor 10 Millionen Jahren Ramapithecsus auftauchte (der erste Primat mit menschenähnlichen Zügen) und hauptsächlich Blätter, Blüten, Beeren und ausgegrabene Wurzeln mümmelte

 

Das war wohl die hohe Zeit der Veganer, die gerade ein Revival planen. Doch gemach, bereits

vor 4 Millonen Jahren landeten Eier und Insekten auf dem Speisezettel und
vor 2,4 – 1,5 Millionen Jahren war Australopithecus geschickt genug, Eidechsen, Ratten, Hasen, Flusspferde oder Stachelschweine und Gazelle zu jagen (und natürlich auch zu essen), war aber froh, dass
vor 1,6 Millionen Jahren eine Homo erectus das Feuerzeug (und damit das Lagerfeuer) erfand. Uns so sind
vor 1,5 Millionen Jahren Antilopenknochen mit Schnittspuren gefunden worden; offensichtlich die Einführung von Messer und Gabel, so dass wahrscheinlich gesittete Tafelrunden stattfanden

 

Wiederum hat es ein wenig gedauert, bis einigen die dauernde Grillerei auf die Nerven ging (zumal zur damaligen Zeit nur wenige Grillsaucen und Dips erfunden waren) und erst

Um 25000 v.Chr. ein Schlegel im Erdofen landete

 

Das traf wohl den Geschmack der Leute, denn dann ging es richtig rund:

um 18000 v.Chr. wurden in Indien Gärten mit Gurken und Erbsen angelegt
um 15000 v.Chr. Gerste kultiviert
um 9000 v.Chr. Schafe und Ziegen domestiziert
um 8000 v.Chr. in der Türkei Hausrinder und
um 7000 v.Chr in Vorderasien Schweine kultiviert,
um 7000 v.Chr. Brot gebacken und
um 6000 v.Chr. Bier gebraut, worauf
um 5000 v.Chr. der Käse, der bekanntlich den Magen schließt, erfunden wurde, und deshalb
um 2300 v.Chr. Knumhotep dringend nötig war, der erste in der ägyptischen Literatur erwähnte Koch

 

Damit war eigentlich alles klar und alles vorhanden, was eine ordentliche Tafel benötigt. Zu erwähnen wäre vielleicht noch, dass

um 2000 v.Chr. in China mit der Nudelproduktion begonnen und
um 1800 v.Chr. die Induskultur das Huhn kultiviert hat

 

Jetzt begann aber ein anderes Problem. Wenn man nicht mehr durch den Wald schlendert und hie und da gepflückte Beeren und Wurzeln einfach in den Mund steckt, stellt sich die Frage der Zubereitung. Und es begann ein langes Hauen und Stechen um die besten Rezepte und damit eine Entwicklung, die letztendlich zu den Fernsehköchen führte und einer neuen olympischen Disziplin, „Die Küchenschlacht“, die heute mehr und mehr von Heike dominiert wird.

um 450 v.Chr. schreibt Li-Chi in China das Buch „Aufzeichnungen über die Etikette„, das auch Rezepte und Menüs enthielt
um 300 entsteht Apicius Kochbuch „De re coquinaria
um 1300 Liber de Coquina“ – Das Buch der guten Küche
um 1350 Das Buch der guten Speise„, eine Pergamentschrift beliebter Kochrezepte
1373 Guillaume Tirel (Taillevent) schreibt das Kochbuch „Le Viandier
1485 Das erste gedruckte deutsche Kochbuch: „Nürnberger Küchenmaistrey
1581 Max Rumpolt veröffentlicht sein „Ein new Kochbuch
1822 Karl Friedrich Rumohr publiziert sein „Geist der Kochkunst“
1976 Michel Guérard leitet mit seinem Buch „La Grande Cuisine Minceur“ die Nouvelle Cuisine ein
1995 Alfred Biolek zieht mit „Meine Rezepte“ nach

 

Natürlich darf man auch nicht verschweigen, dass dies nicht nur eine Erfolgsgeschichte ist, sondern der Niedergang sich schon früh abzeichnete. Chronistenpflicht ist deshalb auch die Auflistung dieser Ereignisse:

1844 in Berlin wird die erste Großbäckerei eröffnet
1920 entstehen in den USA die ersten Hühnerfarmen für Masthühner
1940 McDonalds eröffnet in Kalifornien das erste Fastfoodrestaurant

 

So, und wenn jetzt der eine oder andere verwirrt zur Überschrift zurückscrollt und sich fragt, was das alles mit dem Kerbelzweig zu tun hat, dann muss ich kurz persönlich werden.

Die oben erwähnte Zeittafel endet nämlich 1990 (Herve This prägt den Begriff „molekulare Gastrononmie“). Zu der Zeit hatte ich gerade mal 10 Jahre Abonnement der Zeitschrift „Essen&Trinken“ hinter mir und zunehmend das Gefühl, dass das auch anders gehen könnte. Allerdings dauerte es dann nochmal fast 20 Jahre bis

am 30.1.2007 ein junger Mann in der Schweiz seinen ersten Post in einem Internet-Blog veröffentlichte

 

Und dann wurde alles anders.