Ich lese gerade „Die Frauen“ von T.C. Boyle, ein Roman über den Architekten Frank Lloyd Wright und seine drei Ehefrauen. Deren zweite, Maude Miriam Noel, hat es mir besonders angetan. Sie ist affektiert, arrogant, überdreht und wahrscheinlich auch ein wenig psychisch gestört. Ich aber empfinde nur Mitleid mit ihr. Egal welche Eskapaden sie sich auch einfallen lässt, es gelingt dem Autor nicht, mich gegen sie einzunehmen. Und das nur aus einem Grund.
Die arme Miriam wird nämlich ziemlich direkt aus Paris, quasi ohne Zwischenhalt, ins ländliche Wisconsin verfrachtet. Und als sei das nicht Strafe genug, bevorzugt ihr Liebhaber und spätere Ehemann, na ja, sagen wir mal eher einfache, deftige Kost.
„Die Ente lag vor ihr. Sie warf einen kurzen Blick darauf – Schichten aus gelbem Fett und stumpfbraunem Fleisch, aufsteigender Dampf, Bratensoße -, dann legte sie die Gabel wieder hin und richtete sie im exakt rechten Winkel zur Tischkante aus.“
An der Stelle habe ich geweint, hemmungslos geweint, wie andere beim Dahinscheiden der anämischen Prinzessin oder wenn die sicher geglaubte Vermählung des Chefarztes mit der jungen Krankenschwester vom bösen Schicksal doch noch vereitelt wird. So ein Schicksal lässt mich nicht kalt, da kann auch ich mitfühlen und mitleiden und mich dann auch diesem Schmerz ergeben.
Zunächst mal musste ich mir aber die Tränen trocknen, denn ich hatte versprochen, für ein leichtes Abendessen auf der Terrasse ein Sandwich zu belegen. Und während ich Schnitzelchen briet, Paprika häutete, Rucola zerzupfte, Mozzarella scheibelte, Parmesan hobelte und Tomaten-Honig-Paste zubereitete, wurde mir klar, warum mich diese Szene so mitgenommen hat: Auch ich blicke zurück auf eine dunkle Zeit der Sattmacher, der phantasielosen Ernährung und der ohne Sorgfalt in den Einkaufskorb geworfenen Zutaten. Nein, es muss nicht foie gras mit einem Sauterne sein, nicht unbedingt filet mignon. Das kann es (und sollte es) natürlich auch sein, aber wichtiger ist die geschmackliche Überraschung bei „normalen“ Gerichten, wenn man die richtigen Zutaten erwischt und sich traut der Phantasie bei der Zubereitung ein wenig Raum zu geben.
Geht auch ohne DeckelDas alles ging mir durch den Kopf, weil mir dieses Rezept, als ich es das erste Mal ausprobierte1), in mancher Hinsicht ein Türchen geöffnet hat. Von unten nach oben:
- Ich wäre nie auf die Idee gekommen, auf eine Stulle etwas anderes als Butter zu streichen – und schon gar nicht zermanschte getrocknete Tomaten mit Honig und Olivenöl.
- Ich war bass erstaunt, dass ich Pinienkerne und Rosmarinnadeln in die Panade mischen sollte und überhaupt: ich sollte kein Semmelbrösel-Päckchen aufmachen, sondern Kastenweißbrot hacken!
- Ganze Paprikaschoten sollte ich schwarz grillen, wer hat denn so was schon gehört? Kann man das nicht im Glas kaufen?
- Was bitte haben Rauke und Basilikum auf dem Butterbrot verloren?
- Aus Zufall habe ich die Zutat „Büffelmozzarella“ ernst genommen – und war baff
- Parmesan war schon gerieben im Päckchen, was meinen die jetzt mit „dünn hobeln“?
Als ich das damals andächtig verzehrte und mich bei jedem Bissen wunderte, warum das so ganz anders schmeckt als die Kreation am Bahnhofskiosk, da ist dann kurze Zeit später meine Liebe zu den Foodblogs erwacht. Und die ist auch nicht abgeflaut, wenn ich mir auch hie und da wünschen würde, dass die Einsteigshürde etwas tiefer wäre. Ich halte die Befreiung von „gelbem Fett und stumpfbraunem Fleisch“ nämlich inzwischen fast für ein Menschenrecht und wünsche ganz ganz vielen Menschen, dass sie die Hürde überspringen.
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1) Ich kann es gar nicht glauben, dass das laut e&t erst 2006 gewesen sein soll.
1 Gedanke zu „Baguette de luxe“